1932-2002: Szenen einer Vernunftehe

Die Stadt hat gesiegt!

Eine reizvolle Vorstellung: Die Hauptakteure des damaligen Eingemeindungsprozesses, Bürgermeister Michael Keller auf Truderinger und Oberbürgermeister Karl Scharnagl auf Münchner Seite, kommen für einen Tag zurück auf die Erde nach Trudering und betrachten nach 70 Jahren das Ergebnis.

Sie kämen aus dem Staunen nicht heraus: Aus dem unscheinbaren, wirtschaftlich schwachen Doppeldorf ist ein Stadtteil geworden, der Aufsehen erregt.

Wichtige Münchner Zukunftsprojekte finden genau hier statt: Die Messeverlagerung, der Aufbau eines komplett neuen Stadtviertels mit ambitionierten Städtebau-Ideen. Sogar die U-Bahn, das metropolitane Verkehrsmittel per se, hat Trudering entdeckt. Also ein Siegeszug der städtischen Lebensart, der Stadt, auf ganzer Linie?

Ja, aber...

Das Gegenstück einer tiefen Wahrheit ist ... eine andere tiefe Wahrheit. Diese Erkenntnis des Physikers Niels Bohr gilt auch hier. Trudering ist nämlich auch deswegen so trendy, weil sich hier das städtische Lebensgefühls mit dem Wohnen im Grünen so gut verbinden läßt. Genau dieser Trend, die Vorteile von Stadt und Land zu verbinden, kann in unserem Stadtteil auf eine 100jährige Tradition zurückblicken: Die Wochenendausflügler waren die ersten, die dem Reiz Waldtruderings erlagen und hier ihre Hütten aufschlugen - nicht wissend, auf welchen späteren Top-Wohnlagen sie sich niederließen. Ihnen folgten wohlhabende Münchner Geschäftsleute, deren Spuren sich im Truderinger Ortsbild noch heute ablesen lassen. Der wahre Schub setzte freilich mit den notgeborenen Siedlungsbewegungen des ersten Weltkriegs ein. Die NS-Zeit und die Kriegszeit sah auch in Trudering Täter und Opfer. Danach brachten die Vertriebenen und Flüchtlinge insbesondere aus der Batschka, aus Siebenbürgen und dem Sudentenland neues Leben und neue Gebräuche in unser Stadtviertel.

1972: S-Bahn und Maibaum

1972 war für München mit den Olympischen Spielen ein markantes Jahr, das den Weltstadtcharakter hervorhob und auch Trudering an das neue S-Bahnsystem anschloss. 1972 war auch für Trudering ein Wendejahr, ein Jahr des Aufbruchs: Im Rahmen einer beispiellosen Gemeinschaftsarbeit wurde die 1200-Jahr-Feier zum Startpunkt eines neuen Stadtteil-Lebensgefühls, das sich wieder auf die eigenen Wurzeln besann.

1972 brachte auch die erste große Bürgerinitiative, brachte erstmals junge Kommunalpolitiker aus Trudering in den Stadtrat, deren Einfluss bis heute anhält.

Laptop und Lederhose

Das letzte Jahrzehnt brachte nicht nur mit der Neuen Messe München das Schaufenster der Welt zu uns. Immer deutlicher wird aber auch, dass die 1932 von München mit der „Einverleibung“ Truderings bewusst erworbenen Baulandreserven zur Neige gehen: Nicht immer konfliktlos, wie das Beispiel „Friedenspromenade“ zeigt. Verständlich ist daher, dass die Truderinger ihre Bedürfnisse in puncto Infrastruktur energischer einfordern - mit zunehmenden Erfolg.

Unsere Ausstellung zeichnet die verschiedenen Seiten dieser 70jährigen Beziehungsgeschichte in Bild (und Wort...) nach, an deren Beginn eher die Vernunftehe denn die Liebesheirat stand. Manches ist dem Kundigen vertraut, einige Themen sind aber erstmalig Gegenstand einer öffentlichen, zusammenfassenden Darstellung.

Möge sie anregen!

Dr. Georg Kronawitter im Mai 2002

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